Juli 2016

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


Post vom Oberlandesgericht Köln

Wie Care-Energy die ENERGIE-CHRONIK mundtot zu machen versuchte

(zu 160701)

"Meinem Spendenaufruf, die Anwaltskosten zu finanzieren, ist niemand gefolgt." Mit diesem Satz verabschiedete sich vor einiger Zeit der Verfasser eines wirtschaftskritischen Blogs, der auf seiner Internet-Seite Negatives über Care-Energy geschrieben hatte. Der Unglückliche hatte etwas unbeholfen reagiert, als ihm der Firmenchef Kristek eine Unterlassungserklärung zukommen ließ, die mit einer saftigen Honorar-Forderung der beauftragten Anwaltskanzlei garniert war. So wurde er nach allen Regeln der Anwaltskunst zerfleischt. Am Ende addierten sich die Kosten der Auseinandersetzung, die er bezahlen sollte, auf mehr als zehntausend Euro. Der Mann stellte daraufhin nicht nur seinen Blog ein. Er gab außerdem seine Wohnung auf und flüchtete an einen unbekannten Ort, um vor Zahlungsbefehlen sicher zu sein.

Im Falle der ENERGIE-CHRONIK kamen auch schätzungsweise 7000 Euro an Anwalts- und Gerichtskosten zusammen, nachdem im Mai 2013 der erste Bericht über "Das bizarre Geschäftsmodell von Care-Energy" sowie ein begleitender HINTERGRUND-Artikel erschienen waren (130501). Anders als der unglückliche Blogger mußte aber nicht der Redakteur diese Summe zahlen. Diese Rechnung ging vielmehr voll aufs Konto von Care-Energy.

Dennoch gelang es dem Care-Energy-Chef Kristek, die Meinungs- und Pressefreiheit zumindest ein bißchen zu malträtieren. Der Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung zeigte, wie unzureichend dieses Grundrecht geschützt ist, wenn ein mit großer Aggressivität am Markt agierendes Unternehmen zwar über keinerlei juristisch stichhaltigen Argumente, aber doch über genügend Geld verfügt, um über seine Anwälte ein in allen Punkten unbegründetes Unterlassungsbegehren durch sämtliche Instanzen zu betreiben. Auch deshalb ist es die Geschichte wert, hier ausführlicher erzählt zu werden.

1.348,27 Euro Anwaltskosten für ein an den Haaren herbeigezogenes Unterlassungsbegehren

Es fing an mit dem Schreiben einer Hamburger Anwaltskanzlei, die eigenen Angaben zufolge "auf Presse-, Urheber- und Medienrecht spezialisiert" ist. Darin wurde vom Redakteur der ENERGIE-CHRONIK die Unterlassung von drei "rechtswidrigen Äußerungen" verlangt, die in dem erwähnten Artikel enthalten seien. Beigefügt war eine Unterlassungsverpflichtung, die er unterschreiben sollte, und zwar "bei Meidung einer Vertragsstrafe, deren Höhe im Einzelfall von Herrn Martin Richard Kristek festzusetzen und ggf. vom Landgericht Hamburg zu überprüfen ist". Ferner sollte sich der Redakteur verpflichten, dem Auftraggeber die Anwaltskosten in Höhe von 1.348,27 Euro zu erstatten.

Schon bei flüchtiger Durchsicht des anwaltlichen Schreibens war klar, daß alle drei Punkte keinen juristisch tragfähigen Grund zur Beanstandung boten. Das hätte eigentlich auch der Anwalt merken und deshalb seinem Auftraggeber Kristek mangels Erfolgsaussichten abraten müssen. Schließlich gibt es so etwas wie Standesregeln für Rechtsanwälte. Aber anscheinend ging es beiden nur um das Geld, das der eine kassieren und der andere dem unbequemen Kritiker aus der Tasche ziehen wollte, um ihn einzuschüchtern und mundtot zu machen.

Die Beschwerde von 67 Stadtwerken beim Bundeskartellamt gab es tatsächlich

Den größten Nährwert dürfte aus Sicht des Anwalts eine Tatsachenbehauptung gehabt haben, die angeblich nicht stimmte. Es ging um folgenden Satz: "Das Bundeskartellamt prüft eine Beschwerde gegen Care-Energy, die dem Unternehmen unter anderem vorwirft, daß es den Strom unter Einstandspreisen vertreibe".

"Diese Behauptung ist unwahr", schrieb triumphierend der Anwalt. "Ein Anruf beim Bundeskartellamt hat ergeben, daß dort zu keinem Zeitpunkt ein Beschwerdeverfahren gegen unsere Mandantschaft eingeleitet wurde."

Das war ebenso richtig wie falsch und irreführend. Tatsächlich wurde vom Bundeskartellamt kein Verfahren gegen Care-Energy eingeleitet. Das hatte aber auch niemand behauptet. In dem beanstandeten Satz hieß es vielmehr, daß die Behörde eine Beschwerde prüfe. Der Anwalt hatte diesen großen Unterschied einfach unter den Tisch fallen lassen, als er beim Bundeskartellamt anrief oder dort anrufen ließ.

Die Beschwerde gab es durchaus: Nach Auskunft des Bundeskartellamts stammte sie von "67 kleineren und mittleren Versorgungsbetrieben, darunter eine Vielzahl von Stadtwerken". Eine derart massive Beschwerde kommt gewiß nicht alle Tage vor. Daß sich daraus kein Verfahren entwickeln würde, weil die Behörde sich für unzuständig hielt, war vorläufig nicht absehbar. Es wäre aber sicher ebenfalls eine Nachricht wert gewesen.

Das bizarre Selbstverständnis von Care-Energy sollte kritiklos akzeptiert werden

Wer von vornherein falsch fragt, kriegt eben auch falsche Auskünfte. In diesem Fall hätte man Kristek bzw. seinem Anwalt vielleicht noch einen Irrtum zugute halten können. Mit den beiden anderen Punkten ihres Unterlassungsbegehrens starteten sie aber geradewegs einen Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit.

Zum einen ging es um die Vermutung, daß bestimmte Formulierungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Care-Energy "wohl nur dazu dienen sollen, die Fiktion eines Contracting-Unternehmens zu stützen". Diese Vermutung war nach Meinung des Anwalts unzulässig: "Auch diese Behauptung ist falsch, denn unsere Mandantschaft ist als Energiedienstleister ordnungsgemäß beim Bundesamt für Energieeffizienz gemeldet." Der Redakteur sollte also kritiklos die bizarre Sichtweise übernehmen, daß Care-Energy ein "Energiedienstleister" sei, der seinen Kunden nicht etwa normalen Strom, sondern "Nutzenergie" liefere und deshalb auch nicht zur Abführung der EEG-Umlage verpflichtet sei.

Bekanntlich behauptete Kristek, die Elektrogeräte der Kunden hinter der Steckdose gepachtet zu haben und diese als "Energiedienstleister" zu betreiben. Die Kunden bezögen deshalb keinen Strom, wenn ihr Bügeleisen warm wird oder die Lampe leuchtet, sondern "Nutzenergie". Mit dieser Fiktion wollte Kristek begründen, weshalb er nicht zur Abführung der EEG-Umlage verpflichtet sei. In Wirklichkeit handelte es sich um blühenden Unsinn, der durch ein paar entsprechende Formulierungen in den Verträgen, die ihn stützen sollten, um keinen Deut besser wurde.

Das dritte Unterlassungsbegehren betraf die an diesen Unsinn anknüpfende Frage, ob bei einer Insolvenz die gesetzlich vorgeschriebene Ersatzversorgung noch greifen könnte, wenn Care-Energy tatsächlich als Contracting-Unternehmen anerkannt würde. Es handelte sich um eine im Konjunktiv formulierte Überlegung, mit der die ganze Absurdität des Geschäftsmodells demonstriert werden sollte. Kristek und sein Anwalt erkannten darin jedoch eine weitere "Unwahrheit", die in geschäftsschädigender Weise das "Unternehmenspersönlichkeitsrecht" von Care-Energy verletze. Sie argumentierten ernsthaft, daß die Ersatzversorgung in jedem Falle greifen müsse, weil der von Care-Energy beanspruchte Status eines Contracting-Unternehmens erst hinter dem häuslichen Zähler beginne. Erst da werde der gelieferte Strom in "Nutzenergie" verwandelt.

Aus heiterem Himmel kam plötzlich die Ladung zu einer Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Köln

Was macht man mit einem solchen Schreiben, das erkennbar auf Einschüchterung und Abzocke angelegt ist? – Der Redakteur beschloß, es einfach zu ignorieren. Schließlich gibt es keine Verpflichtung, auf jede Unverschämtheit zu antworten. Zumindest der Anwalt hätte wissen müssen, wie substanzlos das alles war. Mit einiger Wahrscheinlichkeit durfte deshalb angenommen werden, daß er die Sache sowieso nicht weiter betreiben würde.

Damit unterschätzte der Redakteur freilich die Verbissenheit und Aggressivität, mit der Kristek seine Kritiker verfolgen ließ: Zwei Monate später kam aus heiterem Himmel die Ladung zu einem Verhandlungstermin vor dem Oberlandesgericht Köln. Dort hatte Kristeks Anwalt inzwischen das Landgericht bemüht, um die vermeintlichen Unterlassungsansprüche durchzusetzen. Er war aber – ohne daß der Redakteur überhaupt etwas von der Verhandlung wußte – krachend gescheitert und hatte daraufhin Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt.

Der Leser wundert sich an dieser Stelle vielleicht, weshalb die Klage ausgerechnet in Köln verhandelt wurde. Weshalb nicht vor dem Landgericht in Hamburg, wo Care-Energy seinen Sitz hat, oder vor dem Landgericht in Heidelberg, wo der Beklagte wohnt? – Die Erklärung dafür liefert der sogenannte "fliegende Gerichtsstand". Diese Eigenheit des deutschen Presserechts erlaubt es, überall gegen eine Veröffentlichung zu klagen, wo sie erschienen ist. Bei einem Druckerzeugnis also in aller Regel bundesweit. Und bei einer Internet-Veröffentlichung können sich die Anwälte des Klägers erst recht jenes Gericht aussuchen, von dessen Rechtsprechung sie sich die größten Chancen erhoffen. Dieser "fliegende Gerichtsstand" macht es sogar möglich, eine mißliebige Veröffentlichung gewissermaßen per Schrotschuß zu erledigen, indem man gleich mehrere Gerichte bemüht, um sich dann die passende Entscheidung herauszusuchen.

Sogar vor dem Landgericht Köln war Care-Energy abgeblitzt

Deshalb also Köln: Die dortige Justiz genießt in der Anwaltszene einen Ruf wie Donnerhall, wenn es darum geht, gegen mißliebige Veröffentlichungen vorzugehen. Das Magazin "Der Spiegel" (Nr. 42/2014) widmete diesem Phänomen einen ausführlichen Artikel, der mit der Feststellung begann: "Wer gegen einen Zeitungsbericht klagen will, kann sich dafür meistens das Gericht und sogar den Richter herauspicken. Immer mehr Kläger pilgern deshalb zum Landgericht Köln. Das empfiehlt sich mit schnellen Verboten."

Die ENERGIE-CHRONIK hatte indessen keinen Grund, sich über die Kölner Rechtsprechung zu beklagen. Zumindest nicht in der ersten Instanz: Die Pressekammer des Landgerichts wies alle drei Unterlassungsbegehren von Care-Energy als unbegründet zurück.

Das Gericht urteilte dabei nur aufgrund der Aktenlage, also aufgrund der vom Kläger schriftlich vorgetragenen Argumente. Wie schon erwähnt, wußte der beklagte Redakteur nicht einmal von der Verhandlung – eine äußerst fragwürdige Praxis, die in dem "Spiegel"-Artikel zu Recht kritisiert wird. Allerdings konnte in diesem Fall auf die Anhörung des Beklagten tatsächlich verzichtet werden. Inzwischen hatte sich nämlich der einzige Punkt des Unterlassungsbegehrens erledigt, der für Außenstehende nicht von vornherein als unbegründet zu erkennen war: Der Care-Energy-Anwalt hatte seine Klage nachträglich revidiert und nun doch eingeräumt, daß es die angeblich nicht vorhandene Beschwerde beim Bundeskartellamt tatsächlich gegeben hatte.

Ersatzweise versteifte sich der Kristek-Anwalt darauf, daß die Beschwerde der 67 Stadtwerke nicht zur Einleitung eines Verfahrens geführt habe. Deshalb sei eine "identifizierende Berichterstattung" unter Nennung von Care-Energy nicht zulässig gewesen. "Es handelte sich letztlich um den böswilligen Versuch diverser Stadtwerke, die Antragstellerin als unliebsame Konkurrentin auf dem Energiemarkt zu kriminalisieren", schrieb der promovierte Jurist wörtlich – gerade so, als ob er Kartell- und Strafrecht nicht auseinanderhalten könne. Aber auch mit diesem starken Tobak konnte er vor der Pressekammer des Landgerichts Köln keinen Blumentopf gewinnen.

In der zweiten Instanz wurde auf Vorschlag des Gerichts dann doch eine unbestreitbare Tatsache gelöscht

Da Care-Energy nicht lockerlassen wollte, ging das Verfahren nun vor das Oberlandesgericht. Hier bestand sowieso Anwaltszwang. Der Redakteur verzichtete deshalb auf die Reise nach Köln und überließ die ganze Angelegenheit seinem Anwalt. Nach der eindeutigen Entscheidung des Landgerichts ging er davon aus, daß Care-Energy in der zweiten Instanz ebenso klar unterliegen würde.

Aber nun bekam er doch ein bißchen jene vom "Spiegel" aufgespießte Seite der Kölner Justiz zu spüren, welche die Domstadt zum Mekka für Medienanwälte hat werden lassen. Am Verhandlungstag rief ihn sein Anwalt an und bat um Zustimmung zu einem Kompromiß, den das Gericht vorgeschlagen habe: Care-Energy zieht seine Klage zurück und übernimmt alle bisher angefallenen Anwalts- und Gerichtskosten. Im Gegenzug müsse aber in der ENERGIE-CHRONIK der bereits erwähnte Satz gestrichen werden: "Das Bundeskartellamt prüft eine Beschwerde gegen Care-Energy, die dem Unternehmen unter anderem vorwirft, daß es den Strom unter Einstandspreisen vertreibe."

Man muß sich das mal vorstellen: Eine absolut richtige Feststellung, die inzwischen von keiner Seite mehr bestritten wurde, sollte aus der Berichterstattung getilgt werden, um die Berufungsverhandlung mit einem Kompromiß abschließen zu können. Dabei war der Protest von 67 Stromversorgern beim Bundeskartellamt sicher keine belanglose Angelegenheit gewesen, auch wenn sich die Behörde in dieser Angelegenheit letztendlich für unzuständig erklärt hatte. Wie aus dem Protokoll der Gerichtsverhandlung hervorgeht, war der Senat selber zu dem Schluß gelangt, "daß er die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung im vorliegenden Fall nach der Vorberatung als gegeben ansieht". Wozu dann ein derartiger Kompromißvorschlag?

Die nächste Instanz wäre der Bundesgerichtshof gewesen

Auf Zureden des ortsansässigen Anwalts, der sich in Köln sicher besser auskannte, stimmte der Redakteur schließlich zu. "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand", lautet ein vielzitierter Spruch. Möglicherweise wäre Care-Energy auch bei einer Ablehnung genauso abgeblitzt wie in der ersten Instanz. Darauf war nach diesem eigenartigen Kompromißvorschlag aber nicht mehr hundertprozentig Verlaß, selbst wenn er nur aus richterlicher Routine gemacht worden sein sollte.

Außerdem konnte es noch eine Zeitlang dauern, bis Kristek endlich das Geld für teure Prozesse ausgehen würde. Die nächste Instanz wäre der Bundesgerichtshof gewesen. Dort – soviel Vertrauen in den bundesdeutschen Rechtsstaat hatte der Redakteur durchaus – wären die Care-Energy-Anwälte endgültig abgebürstet worden, sofern es ihren Auftraggeber bis dahin überhaupt noch gegeben hätte. Aber war es sinnvoll, wegen eines einzigen Satzes den ganzen Aufwand in Kauf zu nehmen, den ein Gang nach Karlsruhe in jedem Falle mit sich bringen würde?

So kam es, daß der erwähnte Satz – obwohl er absolut richtig war – aus dem Artikel Nr. 130501 verschwand. Dem normalen Leser dürfte das allerdings nicht aufgefallen sein. Ein wesentliches Informationsdefizit entstand schon deshalb nicht, weil der Artikel genug andere Fakten zu Care-Energy enthielt, die viel gravierender waren. Und wenn Kristek geglaubt haben sollte, die ENERGIE-CHRONIK werde nach diesem Prozeß seine dubiosen Geschäftspraktiken nicht mehr beleuchten, hatte er sich sowieso getäuscht.

Sogar die mit großer Mühe erzwungene Streichung des besagten Satzes hatte für Kristek keinen nennenswerten Nutzen. Sie bezog sich nämlich nur auf den "streitgegenständlichen Artikel", also auf die Löschung des Satzes in einem ganz bestimmten Kontext. Dagegen blieb es dem Redakteur unbenommen, dieselbe Tatsachenfeststellung an anderer Stelle zu wiederholen. Ebenso blieb es ihm gestattet, die ganze Angelegenheit, die Kristek unter den Teppich gekehrt haben wollte, noch viel ausführlicher aufzurollen.

Was hiermit aus passendem Anlaß geschehen ist. Soviel Pressefreiheit haben wir noch.