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Christian Stöcker

Lobbyarbeit vor der Bundestagswahl Komm, wir kaufen uns einen Kanzler

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Die Zahl der Ultrareichen und auch ihr Vermögen wächst. Das reicht der Geldelite hierzulande aber offenbar nicht: Jetzt greifen Konzerne und Ultrareiche unverhohlen und mit viel Geld in den Wahlkampf ein.
Vermögender (Symbolbild): Wer etwas am bestehenden System ändern will, wünscht sich nicht zwingend die Sowjetunion zurück

Vermögender (Symbolbild): Wer etwas am bestehenden System ändern will, wünscht sich nicht zwingend die Sowjetunion zurück

Foto: Deagreez / iStockphoto / Getty Images

In Deutschland gibt es, der sozialistischer Agitation unverdächtigen Boston Consulting Group zufolge, derzeit 2900 Ultrareiche.  Auch das ist kein Kampfbegriff, sondern die Übersetzung des Fachterminus Ultra-High-Net-Worth-Individuals. Dazu werden Leute gezählt, die ein »Finanzvermögen« von mehr als hundert Millionen Dollar besitzen.

Weltweit gibt es von dieser Sorte demnach etwa 60.000, die meisten leben in den USA, dann folgt auf der Rangliste China (ohne Hongkong), Deutschland liegt auf Platz drei.

Diese Ultrareichen sind, anders als sehr viele andere Menschen, hervorragend durch die Coronakrise gekommen: Sie wurden noch reicher. Der Trend ist ungebrochen. Gleichzeitig wächst ihr Anteil am weltweiten Vermögen immer weiter.

Die Armen leiden am meisten, die Reichen gar nicht

Die sozialistischer Umtriebe ebenfalls unverdächtige Bank Credit Suisse berichtete schon 2017, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung mittlerweile knapp mehr als die Hälfte allen weltweiten Haushaltsvermögens besaß.

Reiche werden also immer reicher, egal, was der Welt an Unbill widerfährt. Und sie werden immer mehr . In Deutschland ist das besonders krass: Hier besitzen die Ultrareichen 20 Prozent allen Vermögens. Weltweit sind es 13 Prozent.

Es wird von Leuten, die Fans einer möglichst unregulierten Marktwirtschaft sind, gern behauptet, dass reiche Leute eben reich sind, weil sie besonders hart arbeiten. Oder weil sie bereit sind, besondere Risiken einzugehen. Beides ist offensichtlich falsch: Viele deutsche Ultrareiche etwa haben ihr Vermögen geerbt. Und gegen Risiken wie eine globale Pandemie sind sie offenbar hervorragend abgesichert. Wenn es dumm läuft, dann leiden weltweit die Armen am meisten und die Reichen gar nicht.

Festungen für die Zeit nach der Apokalypse

Dabei ist denen durchaus klar, dass viele ihrer Geschäftsmodelle die Welt auf den Abgrund zutragen. Auch gegen dieses Risiko sichern sie sich gerade ab, etwa mit Festungen für die Zeit nach der Apokalypse.

In den USA hat die gemeinnützige Journalismusorganisation ProPublica gerade nachgewiesen , dass die vermögendsten Menschen dort – Leute wie Elon Musk, Jeff Bezos, Warren Buffett, Michael Bloomberg – in den letzten Jahren zwar um unfassbare Summen reicher geworden sind, aber gleichzeitig reale Einkommensteuersätze von teils unter einem Prozent  genießen.

Wenn man hierzulande auf Derartiges hinweist, dann reagieren die Freunde der unregulierten Marktwirtschaft gern mit Kampfbegriffen. Insbesondere wird einem dann verlässlich unterstellt, man strebe den »Sozialismus« an, das wird zweifellos auch im Forum zu dieser Kolumne wieder passieren.

Die zwei großen Lügen

Das ist ein Beispiel für die extrem erfolgreiche Kommunikationsstrategie, mit der globale Unternehmen und diejenigen, die von ihnen am stärksten profitieren, seit vielen Jahren den Diskurs zu ihren Gunsten verzerren: Wer etwas ändern will, will die Sowjetunion zurück, das ist die Parole. Diese Propagandastrategie fußt auf zwei nachweislich falschen Behauptungen:

1. Wer Reiche stärker besteuert, schadet dem Wirtschaftswachstum. Das stimmt nicht.

2. Die Reichen tragen doch proportional viel mehr zum Gemeinwohl bei. Auch das stimmt nicht, siehe oben.

In der sozialistischer Umtriebe ebenfalls unverdächtigen »Financial Times« kommentierte Edward Luce  die Enthüllungen von ProPublica so: »Das elaborierte US-System belohnt jene, die sich eine Armee von Anwälten und Buchhaltern leisten können.«

Und dass die Ultrareichen sich dieses System rücksichtslos zunutze machen, sei völlig unabhängig von ihren politischen Überzeugungen: »Die Linke mag George Soros bewundern und Musk verabscheuen. Die Buchhalter sorgen überall für das gleiche Ergebnis.«

Ein abgekartetes Spiel

Luce weist auch darauf hin, dass auch Großunternehmen in den USA von diesem kaputten Steuersystem profitieren: Sie bezahlten dort im Schnitt 11,7 Prozent Unternehmensteuer, »das ist weniger als die 12,5 Prozent, die in Zypern und Irland fällig werden«, also in den europäischen Steueroasen.

Die Evidenz ist glasklar: Im Moment ist das Finanz- und Steuersystem überall auf der Welt eine abgekartete Veranstaltung, es favorisiert Ultrareiche und multinationale Konzerne. Das hat nichts mit Sozialismus zu tun, sondern nur mit katastrophal schlechter Steuergerechtigkeit. Die von den G7-Nationen angestrebte globale Unternehmensteuer von 15 Prozent wäre ein kleiner, erster Schritt in die richtige Richtung.

Der enorme Erfolg der reichen Menschen der Welt, das System zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen, hat natürlich wiederum viel mit Geld zu tun. Bekanntlich sind in den USA Wahlkämpfe extrem teure Angelegenheiten, maßgeblich finanziert von Megaspendern und Großkonzernen.

Turbofinanzierter Schlammschlachtwahlkampf

In Deutschland war das bislang nicht in der gleichen Form ausgeprägt. Zwar spenden Unternehmen und vermögende Menschen natürlich auch hierzulande Geld an Parteien, aber einen mit großen Mitteln finanzierten Schlammschlachtwahlkampf nach US-Vorbild gab es bei uns bislang nicht.

Das ändert sich gerade. Am Freitag dieser Woche schaltete die Lobbyorganisation »Initiative neue soziale Marktwirtschaft« (INSM), die maßgeblich von der deutschen Metall-, Elektro- und Automobilindustrie finanziert wird, in vielen großen deutschen Zeitungen (unter anderem »FAZ«, »Süddeutsche«, sowohl Print wie online, online auch noch die »Zeit«) großformatige Anzeigen.

Diese Anzeigen zeigen die Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock als Moses ausstaffiert, mit zwei Steintafeln, auf denen neun Verbote stehen, die die Grünen sämtlich nicht anstreben, aber das ist ja egal. Daneben steht: »Warum wir keine Staatsreligion brauchen.« Das Anzeigenmotiv sollte offenbar das aus Sicht der deutschen Industrie wünschenswerte Fürchte-Framing vor dem am Wochenende stattfindenden grünen Parteitag setzen.

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Antisemitisches Augenzwinkern nach ganz rechts

Allein die Werbeflächen, die der Lobbyverband da eingekauft hat, kosten viele Hunderttausend Euro. Das Motiv selbst bedient antisemitische Klischees, das findet zumindest der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume . Das Motiv benutzt auch die in rechtsradikalen Kreisen beliebte Unsinnsthese, beim Wunsch nach einer Verhinderung der Klimakrise handele es sich um eine »Religion«. Die »Gesetzestafeln« enthalten neben Strohmann-Behauptungen zum Thema Klimapolitik auch noch andere übliche Talking Points der INSM zu Themen wie Arbeitsmarkt und Steuern.

Zu den offiziellen »Botschaftern« der INSM gehören übrigens auch mehrere Mitglieder der reichsten deutschen Familien. Arend Oetker etwa, Roland Berger, Randolf Rodenstock. Und natürlich stehen hinter den Verbänden, die die Lobbyorganisation finanzieren, weitere deutsche Ultrareiche, denen bedeutende Anteile großer Konzerne gehören.

Überall fallen die Hemmungen

Die INSM ist schon seit Jahren massiv dabei, mit Pseudo-Information und politischer Einflussnahme wirksamen Klimaschutz in Deutschland zu verhindern, in trauter Eintracht mit den Klimapolitik-Bremsern in der Union und anderen Parteien. Derzeit organisiert die Lobbyorganisation mit der Tageszeitung »Die Welt«, deren Herausgeber Stefan Aust »Zweifel« am menschengemachten Klimawandel  hat, eine Reihe von Gesprächsveranstaltungen, die man nur als Wahlkampf-Events für die Union deuten kann. Zeitung, Lobbyorganisation, Partei, Seite an Seite.

Überall fallen die Hemmungen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass in der jüngeren deutschen Geschichte jemals eine Lobbyorganisation im Auftrag von Ultrareichen und Konzernen so offen und mit so viel Aufwand versucht hätte, Einfluss auf einen Bundestagswahlkampf zu nehmen.

Die Leute, denen die Krise rein gar nicht geschadet hat, die sogar von ihr profitiert haben, setzen sich jetzt höhere Ziele: Völlig unverhohlen wollen sie mit ihrem Geld darauf Einfluss nehmen, wer in Deutschland regiert. Mit Ad-hominem-Attacken, Diffamierung, Desinformation und sympathieheischendem Augenzwinkern in Richtung rechts außen.

Das ist ein Dammbruch.

Anmerkung: Die INSM hatte die erwähnte Anzeige auch bei SPIEGEL.de schalten wollen, das wurde jedoch abgelehnt. Die Organisation hat aber in der Vergangenheit auch bei SPIEGEL.de wiederholt Reklame geschaltet.